Brief einer Blinden an die Mutter
Liebe Mutti!
Als ich das Licht der Welt erblicken durfte, war alles so wie bei vielen.
Ein Baby geliebt, gesund und voll Freude und Stolz in den Armen gehalten.
Mit Riesenschritten verging die Zeit. Ein Kleinkind, Schüler, Pubertät, alles mit allen Höhen und Tiefen, die so dazugehören. Mit 15 meine erste Brille, Brillenschlange, fand sie in dieser Zeit fürchterlich. Was hast du geschimpft, wenn ich sie wieder irgendwo verloren habe. Dann Lehre, Heirat, zwei Kinder. Doch irgendwas stimmte mit meinen Augen nicht, ich konnte immer schlechter lesen, die Schilder beim Autofahren, alles war irgendwie verschwommen. Eine neue Brille, aber weit gefehlt, da hilft keine Brille, eine Augenerkrankung, die mich nach und nach erblinden lassen wird. Mama, du warst da, hast mich getröstet, mit mir geweint, hast Ärzte und Homöopathen aufgesucht. Warst selber noch voll im Beruf, hast auch meinen Mann und vor allem die Kinder unterstützt. Ich weiß noch, im Garten, ich habe versehentlich die Pflanzerl statt dem Unkraut gezupft. Zuerst haben wir beide gelacht, dann gemeinsam geweint. Jeden Morgen mein prüfender Blick aus dem Fenster, sehe ich die Blätter des Baumes vor dem Haus noch? Meine Kinder, ich wollte Sie unbedingt noch erwachsen sehen. Irgendwann habe ich über so manches Hoppala nur mehr gelacht, wenn ich auch lieber geweint oder geschrien hätte. So mancher hat sich von meinem Humor täuschen lassen. Aber du hast immer genau gewusst, wie's in mir ausschaut. Auch ich habe oft deine Verzweiflung gespürt. Meine Kinder wurden erwachsen, ansatzweise sah ich sie noch. Dann begann auch für mich ein ganz neuer Lebensabschnitt. Ich machte eine Berufsfindung für blinde und sehbehinderte Menschen, Masseurin und APM Therapeutin, alles mit dickem Faserstift geschrieben. Die Lernunterlagen mühsam mit einem vergrößernden Lesegerät. Aber es ging. Du warst so stolz auf mich und das gab mir Kraft. Leider verabschiedete sich, so wie vorhergesagt, mein kläglicher Sehrest auch noch. Für alle eine harte Zeit. Leider machte mein Körper die Arbeit als Masseurin nach einiger Zeit auch unmöglich.
Dann machte ich Bekanntschaft mit dem Blinden und Sehbehindertenverband OÖ, anfangs wollte ich da gar nicht hin. Jetzt gehörst du auch zu den "Behinderten", so meine ablehnenden Gedanken. Ja ich gehörte dazu, da gabs kein Rütteln.
Eine Zeit der Trauer, der Wut, der Verzweiflung. Mit der Hilfe und dem Lachen, dem in den Arm nehmen so mancher Blinder Kolleginnen und Kollegen, lernte ich die Welt, mit anderen Augen zu sehen.
Heute darf ich als Obmannstellvertreterin des BSVOÖ Menschen, die Unterstützung auf Ihrem Weg in eine Welt brauchen, die ohne oder mit ganz wenig visuellen Reizen auskommen muss, begleiten. Hier wird oft gelacht und auch geweint, ich darf Menschen ein Stück Ihres Weges begleiten. Immer mit dem großen Ziel, nimm meine Hand, ich führe dich ein Stück, aber Ziel ist es, dass du alleine wieder gehen und lachen lernst.
Ich bin angekommen in meiner, so ganz anderen Welt und ein glücklicher und zufriedener Mensch.
Mama danke, du warst immer da, wenn's eng für mich wurde und mir eine große Stütze.
Bussi, Deine Tochter
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